Im TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin, kennt man entsprechend der Fünf-Elemente-Lehre fünf Jahreszeiten und nicht (nur) vier wie bei uns, die fünfte ist: der Spätsommer, zwischen Sommer und Herbst, verbunden mit dem Element Erde. Es ist, neben dem Herbst, eine meiner Lieblingsjahreszeiten. Wenn manchmal von einem Tag auf den anderen das grelle Sommerlicht im August plötzlich milder wird und ein Hauch Melancholie mit sich zu tragen scheint, das Wissen, dass nichts ewig ist und wir uns im Kreislauf der Jahreszeiten von Werden und Vergehen befinden, ob wir wollen oder nicht, dann freue ich mich.
Die Elemente nähren einander und ein Element gebiert das andere:
Holz lässt Feuer brennen.
Asche (durch Feuer) reichert die Erde mit Nährstoffen an.
Erde bringt Erze (Metall) hervor.
Spurenelemente (Metall) beleben Wasser.
Wasser nährt Bäume und Pflanzen (Holz).
Nach dem heissen Sommer kühlt die Erde und löscht langsam das glühende Feuer. Gerade wir Menschen heute sind durch den Stress der Leistungsgesellschaft oft überhitzt, was sich zum Beispiel in den Wechseljahrbeschwerden der Frauen (Hitzewallungen) zeigt, weshalb uns Kühlung gut tut. Auch leben die meisten von uns ja hauptsächlich im Kopf, wir denken zu viel und was uns fehlt ist eine gesunde Erdung, die Verbundenheit mit Mutter Natur und ihren Zyklen. Dadurch kippen wir aus dem Gleichgewicht, grübeln, fragen uns, was wäre wenn … Statt zu vertrauen, dass die Erde uns trägt und versorgt.
Der Spätsommer fällt in die Zeit der Fülle, wenn die Natur sich in ihrer ganzen Pracht zeigt und uns reich beschenkt. Kein Wunder werden seit alters her jetzt die Erntedankfeste gefeiert, in der Schweiz auf den Bauernhöfen früher Sichlete oder im Dorf auch Chilbi genannt. Es werden alle eingeladen, die bei der Ernte geholfen haben, als Zeichen der Dankbarkeit.
Auch wir Stadtmenschen säen und ernten, wenn wir dies auch nicht direkt in der Erde tun und oft auch nicht bewusst. Doch die Energie folgt der Intention. Zeit also sich zu fragen, was habe ich gesät und was habe ich geerntet?
Viele spirituelle Lehrer:innen sagen, gäbe es nur ein Gebet, wäre es «Danke».
Danke hat eine magische Kraft: es kehrt die Energie um. Wo Mangel war, entsteht augenblicklich Fülle, wo Sorgen waren, breitet sich Vertrauen aus. Und genauso wie die Natur im September sich in ihrer ganzen wunderschönen Fülle zeigt, dürfen wir Menschen jetzt in Dankbarkeit auf die vergangenen neun Monate des Jahres zurückschauen (die, ich bin sicher, nicht per Zufall gleich lang sind wie eine Schwangerschaft). Und wer schon geübt ist, versteht es sogar für ALLES dankbar zu sein, was das Leben bisher geboten hat, für das Selbstverständliche und vielleicht auch für das Unangenehme. Im Wissen, dass das Leben es immer gut meint mit uns.
Denn ein Danke aus dem Herzen ist immer auch ein JA! zum Leben.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab mir zwei Augen,*
öffne ich sie,
unterscheide ich perfekt
das Schwarze vom Weißen;
und im hohem Himmel,
seine sternenhelle Tiefe;
und in der Menschenmasse,
den Mann, den ich liebe.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab mir den Ton
und das ABCD.
Damit denke und äußere
ich die Wörter:
«Vater», «Freund», «Bruder»und «Licht», den Weg
der Seele beleuchtend,
von ihm, den ich liebe.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab mir das Gehör,
das in seiner ganzen Weite
aufnimmt, Tag und Nacht,
Grillen und Kanarienvögel,
Hämmer, Turbinen,
Gebell, Regenschauer,
und die so zarte Stimme
meines Allerliebsten.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab mir das Herz,
das erregt schlägt,**
betrachte ich die Ernte
menschlicher Ratio,
betrachte ich das Gute,
so fern vom Schlechten,
schaue ich in die Tiefe
deiner klaren Augen.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab den Gang
meinen müden Füßen.
Mit ihnen lief ich
in Städten und durch Pfützen,
über Strände und durch Wüsten,
in den Bergen und im Flachland,
und in deinem Haus,
in deiner Straße, in deinem Hof.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab:
es gab mir das Lachen,
es gab mir das Weinen.
Mit ihnen unterscheide ich
Glückseligkeit und Traurigkeit,
die zwei Substanzen,
die mein Gesang formen,
und euer Gesang,
welcher derselbe Gesang ist,
und der Gesang aller,
der mein eigener Gesang ist.
Danke an das Leben,
das mir soviel gab.
(Gracias a la vida, Violeta Parra)