«Einfach mal die Klappe halten!»

Der grösste Irrtum ist, dass wir denken, dass das, was wir sehen, die Realität sei und dass das, was wir denken, die Wahrheit sei. «Was im Internet ist, ist nicht wahr!» sagte mein kleiner Neffe am Wochenende, wie wahr.

Es macht mich sehr glücklich zu sehen, dass nicht nur meine Kinder Johanna, Lotta und Franz, sondern die Generation nach uns sich nicht mehr in Rollen und Vorstellungen pressen lassen will. Nicht nur betreffend Schönheitsideale, sondern auch was Geschlechterrollen betrifft.

Das letzte Theaterprojekt, bei dem Lotta mitgemacht hat, hat sich ganz dem Thema Körperkult und Schönheitsideale gewidmet, als Höhepunkt hat sie sich auf der Bühne ihre blonden Haare abrasiert.

Frauen haben schön zu sein und Männer stark, so haben es uns schon die Märchen in der Kindheit weisgemacht, und wem das nicht gelingt, oder sich vielleicht gar nicht zwischen Männlein und Weiblein entscheiden will/kann, mit dem läuft was schief und das mindeste, was dann bleibt, ist sich zu schämen.

Bodyshaming heisst das heute und ich wüsste so unzählige Geschichten darüber zu schreiben … Hier nur eine: als ich in (m)einen Frauenkörper hineinwuchs, schien das nicht langsam zu gehen, sondern eher so wie eine Explosion über Nacht, ich reagierte darauf mit exzessivem Kalorienzählen und dann wieder mit ich-esse-was-ich-will. Mein Onkel betitelte damals meine Beine als Pfosten, worauf ich einen Komplex entwickelte meine Beine seien zu dick, bis ich irgendwann, viele Jahr später, merkte dass mein Onkel noch viel hässlicher war, als meine Beine …

Ich wäre froh gewesen, hätte es damals schon Bodypositivity-Rolemodels gegeben, das hätte mir (und sicher auch anderen) gut getan, mich selber mehr zu akzeptieren. Wobei gerade diese Frauen auch oft der Kritik ausgesetzt sind, sie würden Dicksein verharmlosen.

Warum eigentlich müssen wir Menschen uns so schrecklich oft bei anderen Menschen aufhalten??? Was gehen meinen Onkel meine Beine an? Was geht es mich an, ob jemand etwas dicker ist? Was geht es mich an, wie jemand angezogen ist? Was geht es mich an, was jemand auf Social Media treibt? Und ja, was geht es mich an, ob jemand Yoga macht und wie jemand Yoga macht? Denn die Yogawelt ist fern davon, shaming-frei zu sein.

Kürzlich erlebt: in einer Weiterbildung werden andere Yogastile (als den eigenen) massiv kritisiert und abgewertet. Ist das nötig? Ich bin über 50, also erwachsen und kann ganz gut selber entscheiden, was ich mache, esse, wie ich aussehe.

Warum müssen wir immer urteilen? Verurteilen? Vor allem, weil wir dies, siehe oben, ja nur aus unserer ganz beschränkten Sichtweise tun. Im Yoga heisst das, Maya, die Illusion, wir meinen zu wissen. Gerade im Yoga würde es uns gut tun, uns mit Körperbildern und Vorurteilen auseinanderzusetzen, deshalb sprechen wir auch in unserem loosloo Teacher Training darüber, schliesslich «arbeiten» wir mit Körpern.

Im SRF gab kürzlich eine gute Doku zum Thema, dort sagte jemand zu Abschluss: «Einfach die Klappe halten!»

Einfach die Klappe halten, wenn wir merken, dass wir uns dem Spielfeld eines anderen Menschen aufhalten.

Natürlich bin auch ich nicht wertfrei, und doch habe ich gerade wieder entschieden, dass ich von nun Räume in denen andere Menschen verurteilt werden, entschieden verlasse, denn heute bin ich alt genug.

Ich weiss, dass ich schön bin, und stark, und du bist es auch!

P.S.: Das Thema ist nicht neu! Das Buch «Der Mythos Schönheit – Die Verbindung von Schönheitswahn und Patriarchat» von Naomi Wolf ist mehr als 30 Jahre alt und aktueller denn je. Ich habe es damals verschlungen und es hat mich sehr geprägt.